Erste Eindrücke vom Südhimmel

Wir sitzen fest in den Passatwolken auf 1400m Höhe.  Dichter feuchter Wolkennebel auf der Cumbre Nuéva ... viel trüber und ungemütlicher, kann ein November-Tag in Deutschland auch nicht sein. Die Sicht beträgt keine 100m! Schon etliche Kilometer fahren wir auf einem scheinbar nie enden wollenden Weg, der eher einem ausgetrockneten Bachbett ähnelt, über das eine Gerölllawine hinweg gefegt ist. Schnell verliert man die Orientierung - folgt blind den rot glimmenden Autolichtern im Nebel. Nichts kann schwerer sein, als auf La Palma zuverlässig das Wetter vorherzusagen. 

Es war einer dieser magischen Momente... plötzlich liegt vor uns ein traumhafter Sonnenuntergang und wir blicken hinab auf ein Meer aus Wolken. Ralf und ich können nicht anderes. Wir halten an einem Aussichtspunkt der kurvigen Abfahrt, stapfen über den schwarzen Vulkanboden, und blicken uns um. Nach Süd und Nord zeichnen sich in der Dämmerung schwarz die Silhouetten der mächtigen Berge ab. Unwirklich strömen die Wolken wie ein Wasserfall aus dem Ostteil der Insel über den Rücken der Cumbre. Und im Westen der unvergleichliche Blick auf die Wolken - schon allein dafür, so dachte ich bei mir, hat sich La Palma gelohnt!

Unwillkürlich zieht sich mein Blick gen Firmament. Schon bald nach Sonnenuntergang werden die ersten Sterne sichtbar. Die Orientierung fällt schwer. Gewöhnlich blicke ich Richtung Süden, lasse den Kopf in den Nacken sinken, und sehe Vega am Sommerhimmel .. und es ist wirklich sehr schwer, von dieser Gewohnheit zu lassen. Aus dem Hintergrund meint ein Bekannter: "Ah - das Sommerdreieck ist schon sichtbar!" Das Sommerdreieck? Ich sehe kein Sommerdreieck!  Wo ist Vega? Knapp südlich des Zenits entdecke ich einen Stern ... dicht nördlich davon leuchtet eine schwächere Sonne auf - der Anblick kommt mir vertraut vor... Atair! Erst da realisiere ich, wie viel so eine Reise gen Süden ausmacht. Vega steht hier weit am Nordhimmel. Doch während ich meine Gedanken noch sortiere, blitzen über dem Südhorizont schon die ersten Sterne - Südhimmel!

Die südlichen Konstellationen mit bloßem Auge

Scorpius! Wie lange habe ich auf ihn gewartet. Wie zur Provokation, streckt er Sommer für Sommer seine Scheren über den Horizont - und das auch noch zu einer Zeit, in der sich die Sonne in Brandenburg kaum 13° unter den Horizont traut. In der Florentinischen Lichtsuppe habe ich Ihn schon einmal dicht über den Horizont schrammen sehen, aber hier sieht die Welt anders aus. Ich bin fasziniert, als ich die ersten Sterne seines Stachels hier hoch über dem Horizont sehe. Vom Roque de los Muchachos aus, ist sein Anblick einfach überwältigend! Allein 8 Deep-Sky-Objekte sind schon mit bloßem Auge sichtbar. Schon M7 allein ist eine Pracht - er erscheint durch die Konzentration seiner sehr hellen Einzelsterne dort tatsächlich als hellster Fleck der Milchstraße. Bombastisch ist auch NGC 6231. Der Sternhaufen ist mit indirektem Sehen schon in der Dämmerung freisichtig als kleiner Nebelfleck, nördlich der Zeta-Scorpii-Sterne sichtbar. Von ihm ausgehend, zieht sich nach Nord-Osten ein mächtiger Schweif, unaufgelöster Sterne - Trumpler 24. Was mich überrascht, ist die enorme Ausdehnung des Sternbildes. Bis zur Abreise habe ich versucht, jede freie Minute seinen unvergleichlichen Gesamteindruck zu genießen, und am liebsten hätte ich ihn wohl mit genommen.

Dicht über dem Scorpius' Stachel steht stolz Sagittarius. Ich war erstaunt, wie hoch der "Teapot" hier am Himmel "hängt". In Brandenburg ist er zwar in klaren Nächten vollständig, bis hinunter zum Stern Epsilon Sagittarii zu erkennen, doch steht er wie auch der mittlere Teil des Skorion's, schon merklich im Horizontdunst. Unter südlichem Himmel ergibt sich ein verblüffender Anblick ... beim Untergang am Südwesthimmel, hängt die Teekanne so schräg, das man den Eindruck gewinnen kann, sie ergießt sich direkt in den Atlantik! Dabei steigt eine weiße Wolke aus Wasserdampf am Firmament empor. Die Milchstraße zeigt hier beeindruckende Wolken, und ein "Mini-Messier-Marathon" mit dem bloßen Auge wird mit vielen Geschenken belohnt. Nicht zu vergessen, die beeindruckenden Dunkelwolken, die bis weit in den Schlangenträger hinein ragen. Besonders schön ist der "Pipe-Nebula", den man mit bloßem Auge jedoch nicht ganz so weit verfolgen kann, wie er auf Fotografien immer erscheint.

Von Lupus konnte ich aufgrund der späten Reisezeit nur noch den Nordteil in der Abenddämmerung bewundern. Um so erstaunlicher, wie viele helle Sterne doch sichtbar waren. Hier konnte ich erstmals die Dimension des Gould'schen Gürtels erahnen. Der Anblick dieser Region kann bisweilen verwirren - es ergeben sich kaum eindeutige Muster. Am markantesten erscheint noch das Dreieck aus Gamma, Delta und Phi Lupi. Gleich "daneben", direkt unterhalb des mächtigen Skorpion-Stachels, befindet sich Norma - das eher unscheinbare Winkelmaß. Das Trapez aus Gamma, Delta, Epsilon und Eta Normae ist noch sein auffälligstes Merkmal. Vom Roque aus, ist der weitere Verlauf der Milchstraße in Richtung Süd quer durch das Sternbild gut nachzuvollziehen. Die helle Normawolke bleibt jedoch unsichtbar an der Horizontlinie verborgen. In der Nähe dieser, befindet sich auch Ara. Daher kann sich die markante Form auch in La Palma noch nicht vollständig entfalten. Die beiden südlichsten Sterne Delta und Eta Arae sind nicht mehr freisichtig erkennbar. Das hübsche, verschieden-farbige Paar Beta und Gamma Arae ist jedoch sehr markant, und kann als Wegweiser auf ein Juwel des Südhimmels - NGC 6397 - dienen! Vom Roque aus, erkennt man deutlich, das der Altar in seiner extremen Nord-Ost-Ecke von der Milchstraße gestreift wird, bevor diese ihren Weg im Sternbild Norma fortsetzt.

Bereits von Österreich aus sah ich sie zwischen fernen Berggipfeln untergehen - die Corona Australis. Die schwachen Sonnen würden im reichen Milchstraßenrandbereich kaum Beachtung finden, wenn sie sich nicht in einer schönen und auffälligen Bogenform unterhalb des Schützen anordnen würden. Im direkten Vergleich mit Ihrem helleren nördlichen Contrapart, zeigt sie zwar schwächere, aber dafür zahlreichere Mitglieder. Das sich nach Süden anschließende Telescopium ist eines der unscheinbarsten Sternbilder überhaupt. Der erste große Entdecker des Südhimmels - Abbe Nicolas Louis de Lacaille - führte es nach Beobachtungen am Kap der Guten Hoffnung ein. Das Schicksal der Unscheinbarkeit, teilt auch Microscopium, welches seinen Nordteil sogar noch etwas über den mitteleuropäischen Horizont reckt. Bis auf 2 Sternreihen im Nord- und Südteil fehlen auch hier besondere Merkmale - das wissenschaftliche Instrument blieb meinen Sinnen verborgen. Tief am Horizont steht auch noch der stolze Indus - der Indianer, der von den ersten Seefahrern der südlichen Hemisphäre an den Himmel versetzt wurde. Bis auf den helleren Alpha Indi, blieben jedoch die meisten Highlights des Sternbilds, wie der sehr sonnennahe Stern Epsilon Indi unsichtbar.

Nach Osten schließt sich das palmerische Herbststernbild schlechthin an - der Grus. Er bietet Halt in den Weiten der vielen klanghaften, aber unscheinbaren Konstellationen des südlichen Frühlingshimmels. Der Kranich war für mich einer der schönsten Anblicke auf der Insel. Die einzigartige Form mit dem langen, aus 2 Doppelsternen bestehenden "Hals" sowie den beiden wunderschön farblich kontrastierenden "Fuss-Sternen" Alpha und Beta Gruis fällt sofort ins Auge. Mit dem Kopf schnappt er nach dem Südlichen Fisch (Pisces Austrinis), der hier hoch am Himmel steht, und seine fast rechteckige Form gut zeigt. Ein weiteres Sternbild, das ich schnell verinnerlicht habe ist der Phoenix. Auch wenn man die Form des tropischen Vogels nicht gut erkennen kann, so fällt in seinem Nordteil doch ein Parallelogramm heller Sterne auf, das auch den hellen Stern Alpha Phoenicis mit einschliesst. Ein unerwarteter Anblick!

In einer besonders klaren Nacht - kurz vor Beginn der Morgendämmerung, gönnte ich mir das Vergnügen, den riesigen Eridanus mit bloßem Auge abzuwandern. Wandern trifft es tatsächlich, da es unmöglich ist, die riesenhaften Ausmaße des Sternbilds mit einem Blick zu erfassen. Weit nördlich beim Orion entspringt der Fluss, und schlängelt sich in weiten Bögen Richtung Süd. Dort, wo in Deutschland der Horizont verläuft, ist auf La Palma noch lange nicht Schluß. In einer markanten Kehre wird Fornax umströmt, bevor der Fluss sich in einem letzten steilen Stück, auf den hellen Stern Achernar zustürzt. Achernar steht auch in La Palma so tief am Himmel, das man in dunklen Nächten direkt unter ihm einige Fischerboote wie schwache Sterne, auf dem komplett schwarzen Meer treiben sieht. Ein beinahe beängstigender Anblick, wenn der Himmel sich bis direkt bis zur Küste fortsetzt. 

Diese ersten Eindrücke haben mich absolut fasziniert. Teilweise kam es mir so vor, als wenn alle Wunder des Himmels sich hier am Himmel versammelt hatten. Die Zeit war reif, um diese Wunder etwas näher zu betrachten....

Clear Skies
Matthias


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